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28 Juli 2002 19:02 #3483
von Danny
Facts wurde erstellt von Danny
"FACTS" nennt sich das nach eigener Aussage "grösste Nachrichtenmagazin der Schweiz". Ich halte es eigentlich bloss für einen Spiegel-für-Arme, über den Elvis-Bericht in der neuesten Ausgabe habe ich mich aber gefreut:
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Ewiger Elvis
FACTS 30/2002, 25.7.02
Der King des Rock ’n’ Roll lebt - 25 Jahre nach seinem Tod. Bis vor kurzem war er nur als Karikatur in Erinnerung, jetzt zeigt sich: Elvis prägt unseren Alltag.
Von Bänz Friedli (Texte) und Vera Hartmann (Fotos)
Elvis Presley konnte nicht einschlafen. Nach einem Auftritt in der Broome County Veterans Memorial Arena in Binghampton, New York, den er nur mit Mühe zu Ende gebracht hatte, wälzte er sich am Abend des 27. Mai 1977 im Hotelbett. Zweieinhalb Monate vor seinem Tod ahnte er das nahe Ende. «Will they remember me?», fragte er seine Ex-Freundin Kathy Westmoreland immer und immer wieder. Und gab, untröstlich, die Antwort selbst: «Kein Mensch wird sich an mich erinnern. Ich habe nichts Bleibendes geschaffen.»
Die Sorge war unbegründet. 25 Jahre nach seinem Tod kennt jedes Kind den ersten und grössten Popstar aller Zeiten.
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Aber sein Ende war traurig. Vereinsamt, verraten, verfettet, depressiv, impotent, infantil, paranoid und tablettensüchtig quälte sich der 42-Jährige durch die letzten Wochen. Am Morgen des 16. August fand seine Geliebte Ginger Alden ihn im Badezimmer bäuchlings in einer Lache von Erbrochenem, die Autopsie stellte eine Überdosis Kodein, Seconal, Pacidyl, Demerol, Valmid, Tuinal, Dilaudid und fünf weiterer Schmerz- und Beruhigungsmittel fest.
So abgefuckt blieb er in Erinnerung: als Karikatur seiner selbst. Nicht der Künstler Elvis war präsent, sondern der Wackel-Elvis aus der Audi-Werbung, der aufgedunsene Elvis, der durchs jüngste Eminem-Video torkelt, der Las-Vegas-Elvis aus dem Suva-Inserat, der stilisierte Schmalztollen-Elvis auf der modischen Gurtschnalle.
Elvis, zum ironischen Zitat degradiert.
Das ändert sich jetzt. Elvis dringt wieder als Musiker ins Bewusstsein. «A Little Less Conversation», sein bislang kaum beachteter Song aus dem Jahr 1968, führt von Malaysia bis Dänemark die Hitparaden an und hat sich über zwei Millionen Mal verkauft, 20 000-mal allein in der Schweiz.
Klar: Am Erfolg ist ein Nike-Werbespot schuld. Aber er bietet die Chance, Elvis wieder als Sänger ernst- und als massenkulturelles Phänomen von unermesslicher Sprengkraft wahrzunehmen. Elvis befreite, versinnlichte, entmoralisierte die Kultur und prägt das tägliche Leben bis heute. 1954 mischte der 19-Jährige in Memphis schwarzen Rhythm&Blues und weissen Country zu einer Musik, wie Amerika sie nie gehört hatte. Das herausfordernde Schlenkern seiner Stimme! Das erotische Vibrieren! So viel Unschuld! So viel Sex!
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Noch heute erschaudert, wer Elvis’ ersten Fernsehauftritt sieht, damals aber muss es der schiere Schock gewesen sein. Schüchtern vermeidet der Jüngling jeden Blick in die Kamera, doch dann fetzt er los, schüttelt sich, als würde er von höherer Macht gerüttelt, wie in Trance, schwingt sein Becken – und die Nation schaute zu. «Obszön und gesetzwidrig!», befand die «New York Herald Tribune». Doch Elvis hatte das prüde Amerika erlöst, er wälzte Umgangsformen, Mode und Medien um: Alles ist möglich, du musst es nur tun, A-Wop-Bopa-Loo-Bop-Alop-Bam-Boom!
Alle jugendkulturellen Bewegungen, die folgten, waren blosse Kopien des Befreiungsschlags, von Flower-Power bis Techno. Mittels Provokation gab Elvis den Teenagern eine Stimme. Diese Wirkung vermochten weder Punk, Grunge, noch Gangsta-Rap zu übertreffen, geschweige denn Kunst, Literatur, Film oder Theater.
«Elvis löste eine Revolution im Geschmack der Leute aus», sagt Biograf Peter Guralnick. Wäre Elvis’ Urschrei nicht gewesen, würden wir allesamt in Anzug und Krawatte zur Arbeit gehen, am TV würde nicht übers Vögeln geredet, es gäbe keine Street Parade. Schlicht dumm wars, als das Zürcher Love-Mobile-Komitee es 1997 ablehnte, am 20. Todestag des King einen Elvis-Wagen mitfahren zu lassen. Wer, wenn nicht Elvis, hatte es möglich gemacht, Kostümierung, Kopulationsbewegungen und Körperkult öffentlich zu zelebrieren?
Der Plattenmulti BMG will den Star nun rehabilitieren und bereinigte das unübersichtliche Repertoire. Allerdings nahm man nicht nur x-beliebige Sammel-CDs vom Markt, sondern gleich 85 Prozent des Katalogs. Elvis-Alben sind zurzeit kaum zu finden: BMG verknappt künstlich das Angebot, weil am 23. September eine CD mit 30 Nummer-1-Hits erscheint. Weltweites Werbebudget: 150 Millionen Franken.
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Geschickt lenkt die Rechte-Inhaberin Elvis Presley Enterprises das Interesse der Jugendlichen auf den King: Erstmals überhaupt erlaubte sie den Remix eines Songs – der Hit «A Little Less Conversation» war die Folge. Und die ganz Kleinen werden mit dem Disney-Film «Lilo & Stitch» angefixt, in dem sechs Elvis-Titel erklingen.
Wer keine Elvis-Rechte hat, schlachtet den Todestag sonstwie aus: Eben lancierte Sony eine entsetzliche Country-Doppel-CD als «Tribute to Elvis», Emi bringt «My Tribute to the King» des belgischen Schmalspur-Klassikers Helmut Lotti, eine akustische Grabschändung. Solche Platten zeigen einzig: Keiner singt Elvis wie Elvis.
Nur einer überschattet das Œuvre des King: er selber. Mit reaktionärem Schund und seichten Filmen, die er auch gemacht hat. Dennoch: Elvis, mit weit über einer Milliarde verkaufter Platten der er-folgreichste Künstler der Geschichte, nahm jede Karriere vorweg. Ohne ihn hätten The Who keine Gitarren zertrümmert, würde Eminem nicht mit einer Britney-Spears-Puppe einen Geschlechtsakt simulieren. Elvis führte schwarze Kultur in weissen Mainstream über, was im Hollywood-Kino genauso nachwirkt wie im Hip Hop. «Er hat die Welt verändert», sagt dessen Entdecker Sam Phillips. «Elvis durchbrach Rassenschranken und bewirkte mehr als alle Politiker und Diplomaten.» Elvis mag die Black Music geklaut haben, ebnete damit aber das Terrain für schwarze Megastars wie Hendrix, Bob Marley und Prince. Als am 17. August 1977 die Leiche des King aufgebahrt wurde, eilte Funk-König James Brown als Erster nach Graceland. «Wir verdanken Elvis alles», sagte Brown.
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Und wen hatten Peter Kraus, Adriano Celentano, Johnny Halliday und Toni Vescoli zum Vorbild? Elvis. Jahrzehnte vor McDonald’s symbolisierte er die Amerikanisierung der westlichen Welt.
Die Selbstzerstörung eines Kurt Cobain, die Entfremdung und Vereinsamung des Michael Jackson – selbst dazu lieferte Elvis die Vorlage. Die Spice Girls Königinnen des Merchandising? Forget it. Presley hatte schon 1956 Elvis-Biergläser, -Mützen und -Puppen im Sortiment. Er war in seiner Hawaii-Phase World-Music-Wegbereiter; er erfand 1968 den «Unplugged»-Mittelteil, der heute zu jeder Rockshow gehört; landete 1969 nach achtjähriger Bühnenabsenz die Mutter aller Comebacks; und sein Konzert «Aloha From Hawaii» lockte 1973 weltweit 1,5 Milliarden Menschen vor den Bildschirm, zwölf Jahre vor «Live Aid».
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Elvis habe «einen tiefen Wandel im Denken und Handeln der Menschen» ausgelöst, ist Rock-Theoretiker Greil Marcus überzeugt. Weil 1954 in 20 Millionen US-Haushalten ein TV-Gerät stand, erzielte er eine nie da gewesene Breitenwirkung. Elvis sprengte die Fesseln, plötzlich ertrug die öffentliche Moral Szenen wie 1955 jene in «Seven Year Itch», in der Marilyn Monroes Kleid über einem Lüftungsschacht aufgebläht wird. Selbst als Glitzer-Elvis prägte er noch die Mode der Seventies. Elvis lebt. In unseren Chatrooms. H&M-Läden. Openairs. Cabriolets. Unserem Way of life.
Die Zeit sei einfach reif gewesen, nicht der Mann hätte Geschichte gemacht, sondern die Geschichte den Mann, mag man einwenden. Aber: Nicht der speckige Bill Haley, nicht der wilde Jerry Lee Lewis und nicht der herbe Carl Perkins wurden Elvis. Sondern Elvis. Nur er hatte die rätselhaft geschwungenen Lippen, den betörenden Blick, die fantastische Stimme, die fabelhafte Intuition, die magische Ausstrahlung.
Dass er, der Umstürzler, nun als Projektionsfläche für patriotische Rückbesinnung dient, erstaunt nicht. Sein «America the Beautiful» verkaufte sich nach dem 11. September 300 000-mal. Elvis lebte den prototypischen American Dream, war Rebell und braver Bürger, frech und fromm. Zum Zeichen des Emporkommens kaufte er seiner Mutter 1955 einen rosaroten Cadillac Fleetwood. Und wer die Tropenholzmöbel in Graceland sieht, ist erschüttert, welch kleinbürgerliche Träume er sich erfüllte. The King, einer wie du und ich.
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ELVIS RISS RASSISTISCHE SCHRANKEN EIN
FACTS 30/2002, 25.7.02
Jerry Schilling war von 1954 bis zu dessen Tod Elvis’ bester Freund. Als Roadmanager schirmte er den Rockstar vor der Aussenwelt ab.
Facts: Elvis ist omnipräsent. Wie gross ist die Diskrepanz zwischen dem Markenzeichen Elvis und dem Menschen?
Jerry Schilling: Der Mensch und der Entertainer überlappten sich schon zu Lebzeiten. Das machte den Entertainer Elvis ja so besonders: Wie menschlich er war. Was mich ärgert, ist das Bild eines Elvis, der zur Comic-Figur verkommen ist: ein Fettsack in zu engem Glitzerkostüm, der ein Erdnussbutter-Sandwich reinwürgt.
Facts: Genau so blieb er im kollektiven Gedächtnis hängen: als Karikatur. Unterschätzt man Elvis?
Schilling: Die Welt hat sein Genie immer unterschätzt. Aber man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihn mit dem Intellekt deuten will. Man muss Elvis mit dem Herzen spüren – wie die Fans.
Facts: Ist es dem Marketing zu verdanken, dass das Comeback ausgerechnet jetzt erfolgt?
Schilling: Jeder Erfolg im Show-Business hat mit Marketing zu tun. Aber Elvis’ Gesang klingt noch so grossartig wie damals, sonst würde ein Wegwerfsong wie «A Little Less Conversation», der nie als Single benutzt wurde, nicht 34 Jahre danach die Charts stürmen. Dieser Mann hat die Welt verändert, verstehen Sie? Unser Verhalten, unsere Umgangsformen, unsere Kleider wären ohne ihn anders. Als ich in Memphis in den Fünfzigerjahren aufwuchs, trug man keine pinkfarbenen Shirts und keine langen Haare.
Facts: Europäer schreiben diese Umwälzung den Beatles zu.
Schilling: Ohne Elvis keine Beatles. Ich weiss noch, wie John Lennon 1965 in Los Angeles zu mir sagte: «Siehst du diesen Backenbart? Ich wäre fast von der Schule geflogen, weil ich wie Elvis aussehen wollte. Ohne ihn wäre nichts aus mir geworden.»
Facts: War Elvis auch im politischen Sinn ein Rebell?
Schilling: Und ob. Als er 1954 schwarze Musik aufnahm, war das eine hoch politische Aussage. Die Rassentrennung sorgte für enorme Klassenunterschiede zwischen Schwarz und Weiss, dank ihm und seiner Musik fanden wir jungen Menschen zusammen. Du merktest plötzlich: Der Müllmann da drüben, das ist mein Bruder, das ist nicht nur der Müllmann. Und das war verdammt politisch. Eltern und Politiker hielten Elvis für so gefährlich, wie sie heute Eminem halten. Elvis riss rassistische Schranken ein, mehr als Politik und Religion es je vermochten.
Facts: Und heute, nach dem 11. September, wendet man sich dem einstigen Umstürzler zu, weil er ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten vermittelt. Ist das nicht eigenartig?
Schilling: Elvis ist ein sicherer Wert, er gibt Geborgenheit. Dieser Wandel passierte schon zu Lebzeiten. Nach seiner Rebellen-Phase in den Fifties ging er zum Militär, und das Establishment, über das er sich noch einige Jahre zuvor lustig gemacht hatte, begann ihn zu mögen. Elvis wurde zunehmend konservativ, doch irgendwie konnte ers allen recht machen. Er traf an einem Tag Richard Nixon und am nächsten John Lennon, und beide waren sie vernarrt in ihn.
Facts: Was brachte ihn um?
Schilling: Künstlerische Frustration. Die Drogen waren nur das Trostpflaster. Sein Umfeld, seine Plattenfirma nahmen ihn nicht ernst genug, reduzierten ihn auf den gut aussehenden Jungen mit der tollen Stimme. Er wollte mehr, er war intelligent, hätte ein ernsthafter Schauspieler werden können. Sie liessen nicht zu, dass er sich entwickelte. Und was tut ein Genie, das immer denselben Mist machen muss? Es will nur noch vergessen und putzt sich zu.
Facts: War Elvis’ Manager «Co-lonel» Parker schuld?
Schilling: Mitschuldig. Elvis wollte in Übersee touren, der Colonel sagte: «Ohne mich.» Ich war dabei, als Barbra Streisand Elvis die Hauptrolle in «A Star Is Born» anbot, er nahm sofort an. Am nächsten Tag sagte der Colonel: «No way!» Kris Kristofferson bekam den Part. Die Rolle hätte Elvis das Leben gerettet.
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GELDMASCHINE ELVIS
Der King als Wackel-Figürchen, der King auf Fingerhüten, der King auf Unterwäsche: Elvis’ Tochter Lisa Marie vermarktet mit ihrer Firma den Rock-’n’-Roller. Ein Millionen-Geschäft.
Es ist, als hätte man den Sprecher einer Sekte vor sich. Todd Morgan hat einen seligen Schimmer auf dem Gesicht, ein verklärtes Strahlen im Blick, wenn er vom King spricht: «Seine Persönlichkeit, sein Werk, sein Talent als Sänger, Entertainer und Kommunikator, seine Magie, all das ist unendlich faszinierend», sagt er zuckrig. «Seine Macht ist ungebrochen.» Kein PR-Geplapper, Morgan glaubt wirklich, was er sagt. Seit 19 Jahren steht er im Dienst von Elvis Presley Enterprises; als Student machte er Führungen durch Graceland, heute trägt er den schönen Titel Director of Creative Development. «Elvis ist mein Leben», sagt Morgan. Die Firma, die den King vermarktet, gehört Elvis’ Tochter Lisa Marie. Diesen Sommer, zum 25. Todestag, wird sie weit über 500 Angestellte haben. Elvis Presley Enterprises vergibt Lizenzen für Wackel-Elvis-Figürchen, für Fingerhüte und Streichhölzer, Schlafzimmer-Möbel mitsamt herzförmigem Spiegel, fürs Happy Meal bei McDonald’s, für Unterwäsche und ein Elvis-Monopoly. Und für die Musik: Eben brachte die Plattenfirma RCA ein 4-CD-Set mit hundert unveröffentlichten Titeln heraus. Sie zeigen Elvis als grossartigen Künstler, versiert in Blues, Country, Rock, Gospel und Soul.
45 Millionen Franken generiert Elvis jährlich an Tantiemen, 700 000 Graceland-Pilger spielen rund 50 Millionen ein. Die Werte werden 2002 spielend übertroffen. «Es könnte das beste Geschäftsjahr seiner Karriere werden.» Morgan sagts, als wäre der King quicklebendig und würde jeden Moment im Büro nach dem Rechten schauen. Wie hiess doch Elvis’ Lebensmotto? «Taking care of business.»
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Der King in der Konserve: Lebensstationen
FACTS 30/2002, 25.7.02
Auf Visite in Mississippi - Auf einen Sprung in Memphis, Tennessee - Elvis vor Augen, Elvis im Ohr.
Von Bänz Friedli (Text) und Vera Hartmann (Fotos)
Natürlich erinnert sich der zittrige Leon Riley nicht mehr an den Tag, als ein Bub namens Elvis hier für 7.75 Dollar seine erste Gitarre kaufte. Zwar steht Mister Riley bei Tupelo Hardware Co. Inc. seit 55 Jahren hinter der Kasse. Aber wer hätte denn damals geahnt, dass jener elfjährige Bengel einmal zum King würde? Nur zugeben würde Riley die Gedächtnislücke nie. Er schweigt bloss bedeutungsvoll, zieht die Brauen hoch, fährt sich durchs schlohweisse Haar und sagt dann freundlich mit hoher Greisenstimme: «Gitarren verkaufen wir schon lange keine mehr.» Dafür ist die Eisenwarenhandlung bis unters Dach voll gepfercht mit Sackmessern, Glühbirnen, Mistgabeln, Pickeln und allem anderen, was die Bauern der Umgebung benötigen, die hier einkaufen.
Tupelo, Mississippi, eine Kleinstadt wie Tausende andere. Gesichtslos. Aber nicht geschichtslos. Zwei Daten setzten den Ort auf die Landkarte: Am 5. April 1936 verwüstete der Sturmwind «Maria» die Stadt; der viertheftigste Orkan, der in den USA je wütete. 216 Menschen weisser Hautfarbe starben, keiner zählte die toten Schwarzen.
Im Jahr zuvor, am 8. Januar 1935, kam Elvis Aaron Presley zur Welt, Sohn der Näherin Gladys und des Lastwagenfahrers Vernon; sein Zwillingsbruder Jesse Garon starb bei der Geburt.
«Elvis?» Tyrone, der dicke Schwarze an der Exxon-Tankstelle, schüttelt müde den Kopf. «Uns ist er egal. Ausser, dass man Geld mit ihm verdienen kann.» Und wie: Gegen 80 000 Elvis-Fans wallfahren jährlich nach Tupelo, in diesem Jahr werdens doppelt so viele sein. Heute will die 90-jährige Jimmie Therrell ihrer Tochter Janet, ihrer Enkelin Mitzi, ihrer Urenkelin Monica und ihrer 2-jährigen Ururenkelin Candace die Geburtsstätte von Elvis zeigen: eine Hütte, die mehr Holzverschlag als Haus ist, zwei winzige Zimmer, drei Mückengitter, ein hölzernes Kindersitzchen. «Oh, we had fun with Elvis, so ein netter Kerl», gurrt die alte Lady, während sich ihre Kinder und Kindeskinder zum Erinnerungsfoto aufbauen. Irgendwann Ende der Fünfzigerjahre war sie mal in Memphis bei Elvis zum Essen eingeladen.
«Graceland ist sehr hübsch. Aber ich glaube, sie haben das Esszimmer inzwischen neu möb-liert», sagt Jimmie Therrell. «Ach, Elvis. Er kam oft mit seinem Motorrad vorbei und plauderte mit meinem Mann.»
Wenn man sie so sprechen hört, die Ururoma, möchte man fast meinen, Presley sei ein sterbliches Wesen. Doch im nächs-ten Augenblick ist, wie aus dem Nichts, seine überirdische Stimme zu vernehmen: «Why don’t we call on Him before we lose our way?», singt Elvis in anschwellender Lautstärke, lässt seine Engelsstimme bei jeder noch so kurzen Note vibrieren, klingt schwerelos, entrückt, nicht von dieser Welt.
Die Gospel-Musik kommt ab Band und dringt aus der nahen Gedenkkapelle, 1979 errichtet dank Spenden aus aller Welt. Der britische Fanklub stiftete eine Weihwasserschale, die Familien Hooper und Cray eine elektrische Orgel und Elvis’ fieser Manager, Colonel Parker, eine Sitzbank. Das bunte Glasfenster stilisiert den weiss gewandeten Elvis zum Heiland mit Strahlenkranz inmitten eines Engelchors. Jesus Presley – längst hat die Verehrung religiöse Züge.
Das Kirchlein kann für Hochzeiten gemietet werden. «Aber wir dulden keine Priester, die sich als Elvis verkleiden», sagt Lisa Buse, die zierliche Frau, die als Direk-torin der Elvis-Stiftung amtet, in kaugummigem Singsang. «Wir wollen den Ort feierlich behalten», sagt sie und verdammt, ohne es auszusprechen, den Rummel, der 75 Meilen nordwestlich um den King betrieben wird, droben in Memphis. «Er war ein einfacher, bescheidener Junge, und er hatte ein gutes Herz. Aber am Ende war er von Leuten umgeben, die sich nicht getrauten, ihm wirklich zu helfen.» Nicht «So sehen wirs hier» sagt Frau Direktorin, sondern: «So sähen wirs hier gern.» Tupelo konserviert den unverdorbenen Elvis, der 1945 in einem Talentwettbewerb den zweiten Rang belegte. Ein kleines Museum stellt den jungen, schlanken, ranken Elvis im Kreis der Familie zur Schau. Elvis in Uniform. Und das Kondolenzschreiben, das US-Präsident Jimmy Carter 1977 schickte: «Er veränderte das Gesicht von Amerikas Populärkultur», steht da. Das ist milde ausgedrückt für einen, der die Alltagskultur der westlichen Welt prägte wie vor und nach ihm niemand. Elvis war 13, als die Presleys über Nacht aus Tupelo flohen; Vater Vernon hatte einen Kredit von 180 Dollar nicht zurückzahlen können. Durch saftig hügelige Wälder führt der Highway 78 Richtung Memphis. Pinien und Lärchen sind von Kuzu überwuchert, einem für die Gegend typischen Unkraut, das die Formen der Bäume glättet und die Landschaft wolkig unwirklich macht. Verteilzentren, Motels, Wassertanks und Nachtschuppen säumen, wahllos hingewürfelt, die Strasse. Truck um Truck pflügt sich schnaubend stadtwärts.
Abertausende gingen den Weg zu Beginn der Fünfzigerjahre: aus dem desperaten Mississippi ins verheissungsvolle Memphis, Tennessee. Wer singen konnte, versuchte sein Glück an der Union Avenue 706, wo ein Besessener mit Shure-Mikrofonen und RCA-Azetat-Ritzmaschinen den Sound des Südens aufnahm: Blues, Gospel, Rhythm & Blues. Sam Phillips hiess der Besessene, sein legendäres Sun-Studio ist heute ein schmuddeliges Café im Fifties-Dekor.
Johnny Cash singt «The Nearest Thing to Heaven» aus der Wurlitzer-Jukebox, die 26-jährige Adrienne verkauft billige Elvis-Sonnenbrillen und teure Original-Schallplatten; gestern ging Elvis’ allererste Single «That’s All Right, Mama» für 3000 Dollar weg. «Three grand, man», frohlockt Adrienne, die in der Freizeit Kontrabass spielt und mit ihren Stirnfransen aussieht, als wäre sie einem frühen Elvis-Song entsprungen: wie eine Betty-Boop-gesichtige Southern Belle aus den Fünfzigerjahren.
Willkommen in den Fifties. Memphis hat in den letzten Jahren seine Altstadt historisch aufgedonnert und die Aussenbezirke verelenden lassen. Im Zentrum wurden aus leer stehenden Werft- und Lagerhallen schicke Galerien, Bistros und Boutiquen, sogar die Strassenbahn fährt wieder. Das Geschäft mit der Nostalgie floriert, Elvis-Pilger bringen der Stadt jährlich drei Milliarden Dollar Umsatz.
Im Aufnahmeraum des Sun-Studios blättert der Verputz. Macht nichts. Bill Arden, ein runder Pastor in Hosenträgern, macht den Clown mit dem Mikrofon, in das der 19-jährige Elvis seine ersten Melodien hauchte. Pfarrer Bill singt und springt und will sich nicht mehr trennen von dem Mik, obschon draussen bereits die nächsten Touristen warten. Er fühlt sich noch einmal so jung wie 1957, als er den King im Baseballstadion von Kilgore, Texas, live erlebte. «Elvis fuhr mit einem pink Cadillac vor», sagt er, fragt seine Dorothy mit leuchtenden Augen «Weisst du noch, Baby?», und sie streichelt seinen Nacken.
Jahre vor Elvis hatten Ike Turner, Jackie Brenston, Rosco Gordon und Little Milton im Sun-Studio den Rock ’n’ Roll erfunden. Aber: Sie waren schwarz und wurden vom Radio boykottiert. Erst Elvis Presley gelang der Durchbruch. Little Milton, 68, schlürft im «Blues City Café» Eistee mit viel Eis und wenig Tee, die gelb getönte Brille macht seinen tristen Blick auch nicht fröhlicher. «Nein», sagt er. «Es ist nicht fair, Elvis des Diebstahls zu bezichtigen. Er brachte die schwarze Musik ans Radio, und als er ein Star wurde, öffnete er uns Türen.» Doch bis heute ist der Musiker Milton nur Insidern bekannt. «Eifersüchtig, ich? Auf keinen, der gute Musik macht und echte Gefühle ausdrückt wie Elvis.»
Das «Arcade» ist das älteste Restaurant der Stadt. Rosarot und türkis die Plastikpolster, das Interieur seit 1919 unverändert. Howard Stovall, 39, sitzt am Elvis-Aaron-Presley-Tisch, wo der King stets seinen Palm Beach Burger ass. «Sam Phillips liebte den Blues, aber er wusste, er brauchte einen Weissen», sagt Stovall, als Direktor der Blues Foundation der höchste Hüter des schwarzen Erbes. «Phillips hatte eine Vision, er spürte, dass Amerika bereit war. Ohne Phillips wäre Elvis noch immer der beste Gospelsänger der Region. Dafür wäre er noch am Leben», sagt Stovall.
«Was ihn umgebracht hat?» Jerry Schilling war Elvis’ bester Freund und gab ihm am 18. August 1977 als Sargträger das letzte Geleit. «Künstlerische Frustration. Plattenfirma und Manager liessen nicht zu, dass er sich entwickelte.» Schilling lässt sein schulterlanges Haar im Stil der Seventies toupieren. Ein ewiger Jüngling, der eitel sein Alter verschweigt, unterm Anzug ein T-Shirt trägt und barfuss in teuren Lederschlüpfern steckt, unentschlossen zwischen salopp und elegant. Elf Jahre wohnte er mit Elvis in Graceland unter einem Dach.
Hinaus nach Graceland auf dem Elvis Presley Boulevard! Wenns denn ein Boulevard ist, dann einer of Broken Dreams, eine hässliche siebenspurige Stadt-Autobahn, flankiert von Tankstellen, Souvenirshops, Fastfood-Lokalen und Absteigen. Graceland? Nichts weiter als eine mickrige, protzig proportionierte Vorstadt-Villa. Was treibt jährlich 700 000 Menschen, das geschmacklos eingerichtete Anwesen zum Preis von 24.50 Dollar zu besichtigen? Zu verstummen beim Anblick von Lüstern und Silbergedeck, Nippsachen, verspiegelten Wänden, einem Dutzend TV-Geräten und zahllosen Überwachungskameras? Die waren übrigens schon da, als er noch lebte: Elvis beäugte seine Besucher aus dem Schlafzimmer im ersten Stock und liess meist ausrichten, er könne nicht runterkommen.
Der Zugang ins Obergeschoss ist streng untersagt, und natürlich denkt man, dass er noch immer da oben sitzt und zuschaut, wie sie an seinem Grab beim Seerosenteich Kränze niederlegen, beten, schluchzen.
«Thank you for calling Graceland», säuselt Regina Jackson, die Telefonistin, alle 20 Sekunden. Ob der King himself manchmal anrufe? «Täglich», sagt sie, und ihr Lächeln ist mehr gequält als erheitert. «Täglich gibts Typen, die wirklich meinen, sie seien Elvis, und sagen, wir müssten das Haus räumen, sie wollten heimkommen.» Die junge Frau klingt besorgt, beinahe traurig. «Mit keinem anderen Künstler hat man das getan. Warum bloss lassen die Leute diesen Elvis nicht sterben?»
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Ewiger Elvis
FACTS 30/2002, 25.7.02
Der King des Rock ’n’ Roll lebt - 25 Jahre nach seinem Tod. Bis vor kurzem war er nur als Karikatur in Erinnerung, jetzt zeigt sich: Elvis prägt unseren Alltag.
Von Bänz Friedli (Texte) und Vera Hartmann (Fotos)
Elvis Presley konnte nicht einschlafen. Nach einem Auftritt in der Broome County Veterans Memorial Arena in Binghampton, New York, den er nur mit Mühe zu Ende gebracht hatte, wälzte er sich am Abend des 27. Mai 1977 im Hotelbett. Zweieinhalb Monate vor seinem Tod ahnte er das nahe Ende. «Will they remember me?», fragte er seine Ex-Freundin Kathy Westmoreland immer und immer wieder. Und gab, untröstlich, die Antwort selbst: «Kein Mensch wird sich an mich erinnern. Ich habe nichts Bleibendes geschaffen.»
Die Sorge war unbegründet. 25 Jahre nach seinem Tod kennt jedes Kind den ersten und grössten Popstar aller Zeiten.
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Aber sein Ende war traurig. Vereinsamt, verraten, verfettet, depressiv, impotent, infantil, paranoid und tablettensüchtig quälte sich der 42-Jährige durch die letzten Wochen. Am Morgen des 16. August fand seine Geliebte Ginger Alden ihn im Badezimmer bäuchlings in einer Lache von Erbrochenem, die Autopsie stellte eine Überdosis Kodein, Seconal, Pacidyl, Demerol, Valmid, Tuinal, Dilaudid und fünf weiterer Schmerz- und Beruhigungsmittel fest.
So abgefuckt blieb er in Erinnerung: als Karikatur seiner selbst. Nicht der Künstler Elvis war präsent, sondern der Wackel-Elvis aus der Audi-Werbung, der aufgedunsene Elvis, der durchs jüngste Eminem-Video torkelt, der Las-Vegas-Elvis aus dem Suva-Inserat, der stilisierte Schmalztollen-Elvis auf der modischen Gurtschnalle.
Elvis, zum ironischen Zitat degradiert.
Das ändert sich jetzt. Elvis dringt wieder als Musiker ins Bewusstsein. «A Little Less Conversation», sein bislang kaum beachteter Song aus dem Jahr 1968, führt von Malaysia bis Dänemark die Hitparaden an und hat sich über zwei Millionen Mal verkauft, 20 000-mal allein in der Schweiz.
Klar: Am Erfolg ist ein Nike-Werbespot schuld. Aber er bietet die Chance, Elvis wieder als Sänger ernst- und als massenkulturelles Phänomen von unermesslicher Sprengkraft wahrzunehmen. Elvis befreite, versinnlichte, entmoralisierte die Kultur und prägt das tägliche Leben bis heute. 1954 mischte der 19-Jährige in Memphis schwarzen Rhythm&Blues und weissen Country zu einer Musik, wie Amerika sie nie gehört hatte. Das herausfordernde Schlenkern seiner Stimme! Das erotische Vibrieren! So viel Unschuld! So viel Sex!
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Noch heute erschaudert, wer Elvis’ ersten Fernsehauftritt sieht, damals aber muss es der schiere Schock gewesen sein. Schüchtern vermeidet der Jüngling jeden Blick in die Kamera, doch dann fetzt er los, schüttelt sich, als würde er von höherer Macht gerüttelt, wie in Trance, schwingt sein Becken – und die Nation schaute zu. «Obszön und gesetzwidrig!», befand die «New York Herald Tribune». Doch Elvis hatte das prüde Amerika erlöst, er wälzte Umgangsformen, Mode und Medien um: Alles ist möglich, du musst es nur tun, A-Wop-Bopa-Loo-Bop-Alop-Bam-Boom!
Alle jugendkulturellen Bewegungen, die folgten, waren blosse Kopien des Befreiungsschlags, von Flower-Power bis Techno. Mittels Provokation gab Elvis den Teenagern eine Stimme. Diese Wirkung vermochten weder Punk, Grunge, noch Gangsta-Rap zu übertreffen, geschweige denn Kunst, Literatur, Film oder Theater.
«Elvis löste eine Revolution im Geschmack der Leute aus», sagt Biograf Peter Guralnick. Wäre Elvis’ Urschrei nicht gewesen, würden wir allesamt in Anzug und Krawatte zur Arbeit gehen, am TV würde nicht übers Vögeln geredet, es gäbe keine Street Parade. Schlicht dumm wars, als das Zürcher Love-Mobile-Komitee es 1997 ablehnte, am 20. Todestag des King einen Elvis-Wagen mitfahren zu lassen. Wer, wenn nicht Elvis, hatte es möglich gemacht, Kostümierung, Kopulationsbewegungen und Körperkult öffentlich zu zelebrieren?
Der Plattenmulti BMG will den Star nun rehabilitieren und bereinigte das unübersichtliche Repertoire. Allerdings nahm man nicht nur x-beliebige Sammel-CDs vom Markt, sondern gleich 85 Prozent des Katalogs. Elvis-Alben sind zurzeit kaum zu finden: BMG verknappt künstlich das Angebot, weil am 23. September eine CD mit 30 Nummer-1-Hits erscheint. Weltweites Werbebudget: 150 Millionen Franken.
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Wer keine Elvis-Rechte hat, schlachtet den Todestag sonstwie aus: Eben lancierte Sony eine entsetzliche Country-Doppel-CD als «Tribute to Elvis», Emi bringt «My Tribute to the King» des belgischen Schmalspur-Klassikers Helmut Lotti, eine akustische Grabschändung. Solche Platten zeigen einzig: Keiner singt Elvis wie Elvis.
Nur einer überschattet das Œuvre des King: er selber. Mit reaktionärem Schund und seichten Filmen, die er auch gemacht hat. Dennoch: Elvis, mit weit über einer Milliarde verkaufter Platten der er-folgreichste Künstler der Geschichte, nahm jede Karriere vorweg. Ohne ihn hätten The Who keine Gitarren zertrümmert, würde Eminem nicht mit einer Britney-Spears-Puppe einen Geschlechtsakt simulieren. Elvis führte schwarze Kultur in weissen Mainstream über, was im Hollywood-Kino genauso nachwirkt wie im Hip Hop. «Er hat die Welt verändert», sagt dessen Entdecker Sam Phillips. «Elvis durchbrach Rassenschranken und bewirkte mehr als alle Politiker und Diplomaten.» Elvis mag die Black Music geklaut haben, ebnete damit aber das Terrain für schwarze Megastars wie Hendrix, Bob Marley und Prince. Als am 17. August 1977 die Leiche des King aufgebahrt wurde, eilte Funk-König James Brown als Erster nach Graceland. «Wir verdanken Elvis alles», sagte Brown.
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Und wen hatten Peter Kraus, Adriano Celentano, Johnny Halliday und Toni Vescoli zum Vorbild? Elvis. Jahrzehnte vor McDonald’s symbolisierte er die Amerikanisierung der westlichen Welt.
Die Selbstzerstörung eines Kurt Cobain, die Entfremdung und Vereinsamung des Michael Jackson – selbst dazu lieferte Elvis die Vorlage. Die Spice Girls Königinnen des Merchandising? Forget it. Presley hatte schon 1956 Elvis-Biergläser, -Mützen und -Puppen im Sortiment. Er war in seiner Hawaii-Phase World-Music-Wegbereiter; er erfand 1968 den «Unplugged»-Mittelteil, der heute zu jeder Rockshow gehört; landete 1969 nach achtjähriger Bühnenabsenz die Mutter aller Comebacks; und sein Konzert «Aloha From Hawaii» lockte 1973 weltweit 1,5 Milliarden Menschen vor den Bildschirm, zwölf Jahre vor «Live Aid».
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Elvis habe «einen tiefen Wandel im Denken und Handeln der Menschen» ausgelöst, ist Rock-Theoretiker Greil Marcus überzeugt. Weil 1954 in 20 Millionen US-Haushalten ein TV-Gerät stand, erzielte er eine nie da gewesene Breitenwirkung. Elvis sprengte die Fesseln, plötzlich ertrug die öffentliche Moral Szenen wie 1955 jene in «Seven Year Itch», in der Marilyn Monroes Kleid über einem Lüftungsschacht aufgebläht wird. Selbst als Glitzer-Elvis prägte er noch die Mode der Seventies. Elvis lebt. In unseren Chatrooms. H&M-Läden. Openairs. Cabriolets. Unserem Way of life.
Die Zeit sei einfach reif gewesen, nicht der Mann hätte Geschichte gemacht, sondern die Geschichte den Mann, mag man einwenden. Aber: Nicht der speckige Bill Haley, nicht der wilde Jerry Lee Lewis und nicht der herbe Carl Perkins wurden Elvis. Sondern Elvis. Nur er hatte die rätselhaft geschwungenen Lippen, den betörenden Blick, die fantastische Stimme, die fabelhafte Intuition, die magische Ausstrahlung.
Dass er, der Umstürzler, nun als Projektionsfläche für patriotische Rückbesinnung dient, erstaunt nicht. Sein «America the Beautiful» verkaufte sich nach dem 11. September 300 000-mal. Elvis lebte den prototypischen American Dream, war Rebell und braver Bürger, frech und fromm. Zum Zeichen des Emporkommens kaufte er seiner Mutter 1955 einen rosaroten Cadillac Fleetwood. Und wer die Tropenholzmöbel in Graceland sieht, ist erschüttert, welch kleinbürgerliche Träume er sich erfüllte. The King, einer wie du und ich.
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ELVIS RISS RASSISTISCHE SCHRANKEN EIN
FACTS 30/2002, 25.7.02
Jerry Schilling war von 1954 bis zu dessen Tod Elvis’ bester Freund. Als Roadmanager schirmte er den Rockstar vor der Aussenwelt ab.
Facts: Elvis ist omnipräsent. Wie gross ist die Diskrepanz zwischen dem Markenzeichen Elvis und dem Menschen?
Jerry Schilling: Der Mensch und der Entertainer überlappten sich schon zu Lebzeiten. Das machte den Entertainer Elvis ja so besonders: Wie menschlich er war. Was mich ärgert, ist das Bild eines Elvis, der zur Comic-Figur verkommen ist: ein Fettsack in zu engem Glitzerkostüm, der ein Erdnussbutter-Sandwich reinwürgt.
Facts: Genau so blieb er im kollektiven Gedächtnis hängen: als Karikatur. Unterschätzt man Elvis?
Schilling: Die Welt hat sein Genie immer unterschätzt. Aber man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihn mit dem Intellekt deuten will. Man muss Elvis mit dem Herzen spüren – wie die Fans.
Facts: Ist es dem Marketing zu verdanken, dass das Comeback ausgerechnet jetzt erfolgt?
Schilling: Jeder Erfolg im Show-Business hat mit Marketing zu tun. Aber Elvis’ Gesang klingt noch so grossartig wie damals, sonst würde ein Wegwerfsong wie «A Little Less Conversation», der nie als Single benutzt wurde, nicht 34 Jahre danach die Charts stürmen. Dieser Mann hat die Welt verändert, verstehen Sie? Unser Verhalten, unsere Umgangsformen, unsere Kleider wären ohne ihn anders. Als ich in Memphis in den Fünfzigerjahren aufwuchs, trug man keine pinkfarbenen Shirts und keine langen Haare.
Facts: Europäer schreiben diese Umwälzung den Beatles zu.
Schilling: Ohne Elvis keine Beatles. Ich weiss noch, wie John Lennon 1965 in Los Angeles zu mir sagte: «Siehst du diesen Backenbart? Ich wäre fast von der Schule geflogen, weil ich wie Elvis aussehen wollte. Ohne ihn wäre nichts aus mir geworden.»
Facts: War Elvis auch im politischen Sinn ein Rebell?
Schilling: Und ob. Als er 1954 schwarze Musik aufnahm, war das eine hoch politische Aussage. Die Rassentrennung sorgte für enorme Klassenunterschiede zwischen Schwarz und Weiss, dank ihm und seiner Musik fanden wir jungen Menschen zusammen. Du merktest plötzlich: Der Müllmann da drüben, das ist mein Bruder, das ist nicht nur der Müllmann. Und das war verdammt politisch. Eltern und Politiker hielten Elvis für so gefährlich, wie sie heute Eminem halten. Elvis riss rassistische Schranken ein, mehr als Politik und Religion es je vermochten.
Facts: Und heute, nach dem 11. September, wendet man sich dem einstigen Umstürzler zu, weil er ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten vermittelt. Ist das nicht eigenartig?
Schilling: Elvis ist ein sicherer Wert, er gibt Geborgenheit. Dieser Wandel passierte schon zu Lebzeiten. Nach seiner Rebellen-Phase in den Fifties ging er zum Militär, und das Establishment, über das er sich noch einige Jahre zuvor lustig gemacht hatte, begann ihn zu mögen. Elvis wurde zunehmend konservativ, doch irgendwie konnte ers allen recht machen. Er traf an einem Tag Richard Nixon und am nächsten John Lennon, und beide waren sie vernarrt in ihn.
Facts: Was brachte ihn um?
Schilling: Künstlerische Frustration. Die Drogen waren nur das Trostpflaster. Sein Umfeld, seine Plattenfirma nahmen ihn nicht ernst genug, reduzierten ihn auf den gut aussehenden Jungen mit der tollen Stimme. Er wollte mehr, er war intelligent, hätte ein ernsthafter Schauspieler werden können. Sie liessen nicht zu, dass er sich entwickelte. Und was tut ein Genie, das immer denselben Mist machen muss? Es will nur noch vergessen und putzt sich zu.
Facts: War Elvis’ Manager «Co-lonel» Parker schuld?
Schilling: Mitschuldig. Elvis wollte in Übersee touren, der Colonel sagte: «Ohne mich.» Ich war dabei, als Barbra Streisand Elvis die Hauptrolle in «A Star Is Born» anbot, er nahm sofort an. Am nächsten Tag sagte der Colonel: «No way!» Kris Kristofferson bekam den Part. Die Rolle hätte Elvis das Leben gerettet.
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GELDMASCHINE ELVIS
Der King als Wackel-Figürchen, der King auf Fingerhüten, der King auf Unterwäsche: Elvis’ Tochter Lisa Marie vermarktet mit ihrer Firma den Rock-’n’-Roller. Ein Millionen-Geschäft.
Es ist, als hätte man den Sprecher einer Sekte vor sich. Todd Morgan hat einen seligen Schimmer auf dem Gesicht, ein verklärtes Strahlen im Blick, wenn er vom King spricht: «Seine Persönlichkeit, sein Werk, sein Talent als Sänger, Entertainer und Kommunikator, seine Magie, all das ist unendlich faszinierend», sagt er zuckrig. «Seine Macht ist ungebrochen.» Kein PR-Geplapper, Morgan glaubt wirklich, was er sagt. Seit 19 Jahren steht er im Dienst von Elvis Presley Enterprises; als Student machte er Führungen durch Graceland, heute trägt er den schönen Titel Director of Creative Development. «Elvis ist mein Leben», sagt Morgan. Die Firma, die den King vermarktet, gehört Elvis’ Tochter Lisa Marie. Diesen Sommer, zum 25. Todestag, wird sie weit über 500 Angestellte haben. Elvis Presley Enterprises vergibt Lizenzen für Wackel-Elvis-Figürchen, für Fingerhüte und Streichhölzer, Schlafzimmer-Möbel mitsamt herzförmigem Spiegel, fürs Happy Meal bei McDonald’s, für Unterwäsche und ein Elvis-Monopoly. Und für die Musik: Eben brachte die Plattenfirma RCA ein 4-CD-Set mit hundert unveröffentlichten Titeln heraus. Sie zeigen Elvis als grossartigen Künstler, versiert in Blues, Country, Rock, Gospel und Soul.
45 Millionen Franken generiert Elvis jährlich an Tantiemen, 700 000 Graceland-Pilger spielen rund 50 Millionen ein. Die Werte werden 2002 spielend übertroffen. «Es könnte das beste Geschäftsjahr seiner Karriere werden.» Morgan sagts, als wäre der King quicklebendig und würde jeden Moment im Büro nach dem Rechten schauen. Wie hiess doch Elvis’ Lebensmotto? «Taking care of business.»
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Der King in der Konserve: Lebensstationen
FACTS 30/2002, 25.7.02
Auf Visite in Mississippi - Auf einen Sprung in Memphis, Tennessee - Elvis vor Augen, Elvis im Ohr.
Von Bänz Friedli (Text) und Vera Hartmann (Fotos)
Natürlich erinnert sich der zittrige Leon Riley nicht mehr an den Tag, als ein Bub namens Elvis hier für 7.75 Dollar seine erste Gitarre kaufte. Zwar steht Mister Riley bei Tupelo Hardware Co. Inc. seit 55 Jahren hinter der Kasse. Aber wer hätte denn damals geahnt, dass jener elfjährige Bengel einmal zum King würde? Nur zugeben würde Riley die Gedächtnislücke nie. Er schweigt bloss bedeutungsvoll, zieht die Brauen hoch, fährt sich durchs schlohweisse Haar und sagt dann freundlich mit hoher Greisenstimme: «Gitarren verkaufen wir schon lange keine mehr.» Dafür ist die Eisenwarenhandlung bis unters Dach voll gepfercht mit Sackmessern, Glühbirnen, Mistgabeln, Pickeln und allem anderen, was die Bauern der Umgebung benötigen, die hier einkaufen.
Tupelo, Mississippi, eine Kleinstadt wie Tausende andere. Gesichtslos. Aber nicht geschichtslos. Zwei Daten setzten den Ort auf die Landkarte: Am 5. April 1936 verwüstete der Sturmwind «Maria» die Stadt; der viertheftigste Orkan, der in den USA je wütete. 216 Menschen weisser Hautfarbe starben, keiner zählte die toten Schwarzen.
Im Jahr zuvor, am 8. Januar 1935, kam Elvis Aaron Presley zur Welt, Sohn der Näherin Gladys und des Lastwagenfahrers Vernon; sein Zwillingsbruder Jesse Garon starb bei der Geburt.
«Elvis?» Tyrone, der dicke Schwarze an der Exxon-Tankstelle, schüttelt müde den Kopf. «Uns ist er egal. Ausser, dass man Geld mit ihm verdienen kann.» Und wie: Gegen 80 000 Elvis-Fans wallfahren jährlich nach Tupelo, in diesem Jahr werdens doppelt so viele sein. Heute will die 90-jährige Jimmie Therrell ihrer Tochter Janet, ihrer Enkelin Mitzi, ihrer Urenkelin Monica und ihrer 2-jährigen Ururenkelin Candace die Geburtsstätte von Elvis zeigen: eine Hütte, die mehr Holzverschlag als Haus ist, zwei winzige Zimmer, drei Mückengitter, ein hölzernes Kindersitzchen. «Oh, we had fun with Elvis, so ein netter Kerl», gurrt die alte Lady, während sich ihre Kinder und Kindeskinder zum Erinnerungsfoto aufbauen. Irgendwann Ende der Fünfzigerjahre war sie mal in Memphis bei Elvis zum Essen eingeladen.
«Graceland ist sehr hübsch. Aber ich glaube, sie haben das Esszimmer inzwischen neu möb-liert», sagt Jimmie Therrell. «Ach, Elvis. Er kam oft mit seinem Motorrad vorbei und plauderte mit meinem Mann.»
Wenn man sie so sprechen hört, die Ururoma, möchte man fast meinen, Presley sei ein sterbliches Wesen. Doch im nächs-ten Augenblick ist, wie aus dem Nichts, seine überirdische Stimme zu vernehmen: «Why don’t we call on Him before we lose our way?», singt Elvis in anschwellender Lautstärke, lässt seine Engelsstimme bei jeder noch so kurzen Note vibrieren, klingt schwerelos, entrückt, nicht von dieser Welt.
Die Gospel-Musik kommt ab Band und dringt aus der nahen Gedenkkapelle, 1979 errichtet dank Spenden aus aller Welt. Der britische Fanklub stiftete eine Weihwasserschale, die Familien Hooper und Cray eine elektrische Orgel und Elvis’ fieser Manager, Colonel Parker, eine Sitzbank. Das bunte Glasfenster stilisiert den weiss gewandeten Elvis zum Heiland mit Strahlenkranz inmitten eines Engelchors. Jesus Presley – längst hat die Verehrung religiöse Züge.
Das Kirchlein kann für Hochzeiten gemietet werden. «Aber wir dulden keine Priester, die sich als Elvis verkleiden», sagt Lisa Buse, die zierliche Frau, die als Direk-torin der Elvis-Stiftung amtet, in kaugummigem Singsang. «Wir wollen den Ort feierlich behalten», sagt sie und verdammt, ohne es auszusprechen, den Rummel, der 75 Meilen nordwestlich um den King betrieben wird, droben in Memphis. «Er war ein einfacher, bescheidener Junge, und er hatte ein gutes Herz. Aber am Ende war er von Leuten umgeben, die sich nicht getrauten, ihm wirklich zu helfen.» Nicht «So sehen wirs hier» sagt Frau Direktorin, sondern: «So sähen wirs hier gern.» Tupelo konserviert den unverdorbenen Elvis, der 1945 in einem Talentwettbewerb den zweiten Rang belegte. Ein kleines Museum stellt den jungen, schlanken, ranken Elvis im Kreis der Familie zur Schau. Elvis in Uniform. Und das Kondolenzschreiben, das US-Präsident Jimmy Carter 1977 schickte: «Er veränderte das Gesicht von Amerikas Populärkultur», steht da. Das ist milde ausgedrückt für einen, der die Alltagskultur der westlichen Welt prägte wie vor und nach ihm niemand. Elvis war 13, als die Presleys über Nacht aus Tupelo flohen; Vater Vernon hatte einen Kredit von 180 Dollar nicht zurückzahlen können. Durch saftig hügelige Wälder führt der Highway 78 Richtung Memphis. Pinien und Lärchen sind von Kuzu überwuchert, einem für die Gegend typischen Unkraut, das die Formen der Bäume glättet und die Landschaft wolkig unwirklich macht. Verteilzentren, Motels, Wassertanks und Nachtschuppen säumen, wahllos hingewürfelt, die Strasse. Truck um Truck pflügt sich schnaubend stadtwärts.
Abertausende gingen den Weg zu Beginn der Fünfzigerjahre: aus dem desperaten Mississippi ins verheissungsvolle Memphis, Tennessee. Wer singen konnte, versuchte sein Glück an der Union Avenue 706, wo ein Besessener mit Shure-Mikrofonen und RCA-Azetat-Ritzmaschinen den Sound des Südens aufnahm: Blues, Gospel, Rhythm & Blues. Sam Phillips hiess der Besessene, sein legendäres Sun-Studio ist heute ein schmuddeliges Café im Fifties-Dekor.
Johnny Cash singt «The Nearest Thing to Heaven» aus der Wurlitzer-Jukebox, die 26-jährige Adrienne verkauft billige Elvis-Sonnenbrillen und teure Original-Schallplatten; gestern ging Elvis’ allererste Single «That’s All Right, Mama» für 3000 Dollar weg. «Three grand, man», frohlockt Adrienne, die in der Freizeit Kontrabass spielt und mit ihren Stirnfransen aussieht, als wäre sie einem frühen Elvis-Song entsprungen: wie eine Betty-Boop-gesichtige Southern Belle aus den Fünfzigerjahren.
Willkommen in den Fifties. Memphis hat in den letzten Jahren seine Altstadt historisch aufgedonnert und die Aussenbezirke verelenden lassen. Im Zentrum wurden aus leer stehenden Werft- und Lagerhallen schicke Galerien, Bistros und Boutiquen, sogar die Strassenbahn fährt wieder. Das Geschäft mit der Nostalgie floriert, Elvis-Pilger bringen der Stadt jährlich drei Milliarden Dollar Umsatz.
Im Aufnahmeraum des Sun-Studios blättert der Verputz. Macht nichts. Bill Arden, ein runder Pastor in Hosenträgern, macht den Clown mit dem Mikrofon, in das der 19-jährige Elvis seine ersten Melodien hauchte. Pfarrer Bill singt und springt und will sich nicht mehr trennen von dem Mik, obschon draussen bereits die nächsten Touristen warten. Er fühlt sich noch einmal so jung wie 1957, als er den King im Baseballstadion von Kilgore, Texas, live erlebte. «Elvis fuhr mit einem pink Cadillac vor», sagt er, fragt seine Dorothy mit leuchtenden Augen «Weisst du noch, Baby?», und sie streichelt seinen Nacken.
Jahre vor Elvis hatten Ike Turner, Jackie Brenston, Rosco Gordon und Little Milton im Sun-Studio den Rock ’n’ Roll erfunden. Aber: Sie waren schwarz und wurden vom Radio boykottiert. Erst Elvis Presley gelang der Durchbruch. Little Milton, 68, schlürft im «Blues City Café» Eistee mit viel Eis und wenig Tee, die gelb getönte Brille macht seinen tristen Blick auch nicht fröhlicher. «Nein», sagt er. «Es ist nicht fair, Elvis des Diebstahls zu bezichtigen. Er brachte die schwarze Musik ans Radio, und als er ein Star wurde, öffnete er uns Türen.» Doch bis heute ist der Musiker Milton nur Insidern bekannt. «Eifersüchtig, ich? Auf keinen, der gute Musik macht und echte Gefühle ausdrückt wie Elvis.»
Das «Arcade» ist das älteste Restaurant der Stadt. Rosarot und türkis die Plastikpolster, das Interieur seit 1919 unverändert. Howard Stovall, 39, sitzt am Elvis-Aaron-Presley-Tisch, wo der King stets seinen Palm Beach Burger ass. «Sam Phillips liebte den Blues, aber er wusste, er brauchte einen Weissen», sagt Stovall, als Direktor der Blues Foundation der höchste Hüter des schwarzen Erbes. «Phillips hatte eine Vision, er spürte, dass Amerika bereit war. Ohne Phillips wäre Elvis noch immer der beste Gospelsänger der Region. Dafür wäre er noch am Leben», sagt Stovall.
«Was ihn umgebracht hat?» Jerry Schilling war Elvis’ bester Freund und gab ihm am 18. August 1977 als Sargträger das letzte Geleit. «Künstlerische Frustration. Plattenfirma und Manager liessen nicht zu, dass er sich entwickelte.» Schilling lässt sein schulterlanges Haar im Stil der Seventies toupieren. Ein ewiger Jüngling, der eitel sein Alter verschweigt, unterm Anzug ein T-Shirt trägt und barfuss in teuren Lederschlüpfern steckt, unentschlossen zwischen salopp und elegant. Elf Jahre wohnte er mit Elvis in Graceland unter einem Dach.
Hinaus nach Graceland auf dem Elvis Presley Boulevard! Wenns denn ein Boulevard ist, dann einer of Broken Dreams, eine hässliche siebenspurige Stadt-Autobahn, flankiert von Tankstellen, Souvenirshops, Fastfood-Lokalen und Absteigen. Graceland? Nichts weiter als eine mickrige, protzig proportionierte Vorstadt-Villa. Was treibt jährlich 700 000 Menschen, das geschmacklos eingerichtete Anwesen zum Preis von 24.50 Dollar zu besichtigen? Zu verstummen beim Anblick von Lüstern und Silbergedeck, Nippsachen, verspiegelten Wänden, einem Dutzend TV-Geräten und zahllosen Überwachungskameras? Die waren übrigens schon da, als er noch lebte: Elvis beäugte seine Besucher aus dem Schlafzimmer im ersten Stock und liess meist ausrichten, er könne nicht runterkommen.
Der Zugang ins Obergeschoss ist streng untersagt, und natürlich denkt man, dass er noch immer da oben sitzt und zuschaut, wie sie an seinem Grab beim Seerosenteich Kränze niederlegen, beten, schluchzen.
«Thank you for calling Graceland», säuselt Regina Jackson, die Telefonistin, alle 20 Sekunden. Ob der King himself manchmal anrufe? «Täglich», sagt sie, und ihr Lächeln ist mehr gequält als erheitert. «Täglich gibts Typen, die wirklich meinen, sie seien Elvis, und sagen, wir müssten das Haus räumen, sie wollten heimkommen.» Die junge Frau klingt besorgt, beinahe traurig. «Mit keinem anderen Künstler hat man das getan. Warum bloss lassen die Leute diesen Elvis nicht sterben?»
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- Obi-Wan
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28 Juli 2002 21:56 #3501
von Obi-Wan
Obi-Wan antwortete auf Facts
Wow, klasse, danke. Du hast das Heft nicht abonnomiert, oder?

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- anywayyoudo
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28 Juli 2002 22:29 #3504
von anywayyoudo
anywayyoudo antwortete auf Facts
super artikel und ziemlich fair. vielen dank für deine arbeit! habe ich gerne gelesen.
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- Danny
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29 Juli 2002 00:17 #3523
von Danny
Danny antwortete auf Facts
Danke
@Denis: Nein, hab's nicht abonniert, da es mir teilweise....zu folkloristisch ist, wie die folgenden Aussagen der Schweizer Prominenz beweisen
Promis über Elvis
«Brav und schnurgerade wäre er kein Weltstar geworden, dazu brauchte es mehr als gute Musik. Er musste schockieren, und die Eskapaden mussten medial verbreitet werden. Dass ein Mann die ganze Welt in seinen Bann ziehen konnte, das dünkte mich als Berglerbub verrückt. Elvis war phänomenal, das ging uns Jungen unter die Haut. Das blieb.» Adolf Ogi, Altbundesrat, Fraubrunnen
«Für mich gilt: Punk is not dead. Deshalb gebe ich herzlich wenig auf den Schmalz von Elvis. Das einzig Bemerkenswerte ist sein Hüftschwung. Elvis hat Musik körperlich gemacht, er hat als erster Weisser Sex reingebracht.» Feridun Zaimoglu, Schriftsteller, Kiel
«Elvis markiert eine kulturelle Wasserscheide. Er hatte immenses revolutionäres Potenzial, ohne ihn hätte es keine Beatles, keinen Punk gegeben. Seine Nachwirkung im öffentlichen Raum ist extrem.» Elisabeth Bronfen, Anglistik-Professorin, Zürich
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«Elvis? Was er damals auslöste, stelle ich mir als Kulturrevolution vor. Für mich selber bedeutet er ein paar irrsinnige Songs und ein paar Liebschaften, in meiner Generation waren die Who, Stones und Deep Purple wichtiger. Aber möglich, dass es die ohne Elvis nicht gegeben hätte.» Anita Fetz, SP-Nationalrätin, Basel
«Elvis finde ich cool. Musik, Stimme und Aussehen waren super. Wie er sich die Haare färbte, wie er sich kleidete – alles Dinge, die sich für einen Mann in den Fünfzigerjahren nicht geziemten. Ein Pionier. Nur seine Art zu tanzen finde ich beschissen, sein Hüftschwung war lächerlich, überhaupt nicht erotisch.» Tamara Rist, Mode- und Taschendesignerin, Zürich
«Von Elvis’ Musik war ich nie wahnsinnig Fan, obschon ich 1958 20-jährig war. Dann sah ich die Filme, und wie er sich bewegte, das war schon imposant. Aber eine Befreiung durch ihn brauchte ich nicht, ich hab halt meine eigenen Träume entwickelt, ging meinen Weg. Darin sind wir uns ja vielleicht verwandt. Ich hätte ihn gern kennen gelernt, wir hätten uns gemocht.» Roman Signer, Künstler, Sankt Gallen
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«Das Bild des aufgedunsenen Las-Vegas-Elvis muss man zur Seite schieben. Denn der Elvis der Anfänge war ein fantastischer Musiker, ein vom schwarzen Amerika beeinflusstes Sexsymbol mit enormer revolutionärer Wirkung. Ein Outlaw, ein Umstürzler, der die Welt veränderte. Bis ihn die amerikanische Gesellschaft aufsog und ins reaktionäre Gegenteil verkehrte: in eine Ikone der Fast Food-Kultur.» Andrea De Carlo, Schriftsteller, Mailand
«Elvis lives, the King is alive. Hier in den USA ist Elvis omnipräsent. Auf unserer nächsten Reise wollen wir in Graceland Halt machen, denn dank dem Disney-Film ‹Lilo & Stitch› ist Elvis jetzt auch unseren Kindern ein Begriff.» Xeno Müller, Ruder-Olympiasieger, Costa Mesa, Kalifornien
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<!--EDIT|Danny| 28. 07. 2002, 23:19-->
@Denis: Nein, hab's nicht abonniert, da es mir teilweise....zu folkloristisch ist, wie die folgenden Aussagen der Schweizer Prominenz beweisen

Promis über Elvis
«Brav und schnurgerade wäre er kein Weltstar geworden, dazu brauchte es mehr als gute Musik. Er musste schockieren, und die Eskapaden mussten medial verbreitet werden. Dass ein Mann die ganze Welt in seinen Bann ziehen konnte, das dünkte mich als Berglerbub verrückt. Elvis war phänomenal, das ging uns Jungen unter die Haut. Das blieb.» Adolf Ogi, Altbundesrat, Fraubrunnen
«Für mich gilt: Punk is not dead. Deshalb gebe ich herzlich wenig auf den Schmalz von Elvis. Das einzig Bemerkenswerte ist sein Hüftschwung. Elvis hat Musik körperlich gemacht, er hat als erster Weisser Sex reingebracht.» Feridun Zaimoglu, Schriftsteller, Kiel
«Elvis markiert eine kulturelle Wasserscheide. Er hatte immenses revolutionäres Potenzial, ohne ihn hätte es keine Beatles, keinen Punk gegeben. Seine Nachwirkung im öffentlichen Raum ist extrem.» Elisabeth Bronfen, Anglistik-Professorin, Zürich
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«Elvis? Was er damals auslöste, stelle ich mir als Kulturrevolution vor. Für mich selber bedeutet er ein paar irrsinnige Songs und ein paar Liebschaften, in meiner Generation waren die Who, Stones und Deep Purple wichtiger. Aber möglich, dass es die ohne Elvis nicht gegeben hätte.» Anita Fetz, SP-Nationalrätin, Basel
«Elvis finde ich cool. Musik, Stimme und Aussehen waren super. Wie er sich die Haare färbte, wie er sich kleidete – alles Dinge, die sich für einen Mann in den Fünfzigerjahren nicht geziemten. Ein Pionier. Nur seine Art zu tanzen finde ich beschissen, sein Hüftschwung war lächerlich, überhaupt nicht erotisch.» Tamara Rist, Mode- und Taschendesignerin, Zürich
«Von Elvis’ Musik war ich nie wahnsinnig Fan, obschon ich 1958 20-jährig war. Dann sah ich die Filme, und wie er sich bewegte, das war schon imposant. Aber eine Befreiung durch ihn brauchte ich nicht, ich hab halt meine eigenen Träume entwickelt, ging meinen Weg. Darin sind wir uns ja vielleicht verwandt. Ich hätte ihn gern kennen gelernt, wir hätten uns gemocht.» Roman Signer, Künstler, Sankt Gallen
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«Das Bild des aufgedunsenen Las-Vegas-Elvis muss man zur Seite schieben. Denn der Elvis der Anfänge war ein fantastischer Musiker, ein vom schwarzen Amerika beeinflusstes Sexsymbol mit enormer revolutionärer Wirkung. Ein Outlaw, ein Umstürzler, der die Welt veränderte. Bis ihn die amerikanische Gesellschaft aufsog und ins reaktionäre Gegenteil verkehrte: in eine Ikone der Fast Food-Kultur.» Andrea De Carlo, Schriftsteller, Mailand
«Elvis lives, the King is alive. Hier in den USA ist Elvis omnipräsent. Auf unserer nächsten Reise wollen wir in Graceland Halt machen, denn dank dem Disney-Film ‹Lilo & Stitch› ist Elvis jetzt auch unseren Kindern ein Begriff.» Xeno Müller, Ruder-Olympiasieger, Costa Mesa, Kalifornien
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<!--EDIT|Danny| 28. 07. 2002, 23:19-->
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- Mickey
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20 Aug. 2002 14:01 #6195
von Mickey
Mickey antwortete auf Facts
Oh lá lá, da habe ich aber etwas verpasst... Ich habe mich damals vom Titelbild davon abhalten lassen, diese Facts-Ausgabe zu kaufen. Bänz Friedli habe ich - trotz manchmal guter Kolumne in "20 Minuten" bisher auch eher zu den primitiven Zeitgenossen gezählt. Aber da hat er richtig gute Arbeit geleistet.
Facts ist im übrigen ganz bestimmt das "grösste Nachrichtenmagazin der Schweiz" - aber auch das blödste. Denn es ist in meinen Augen das einzige.
SPIEGEl-für-Arme? SPIEGEL-für-Leute-die-in-einem-Land-wohnen-das-keine-Schlagzeilen-hat.
Aber ich bin froh, dass wir weitgehend schlagzeilen- und wahlkampffrei sind. Dann haben unsere Journalisten nämlich mehr Zeit zur Recherche... und für einmal hat das einer auch tatsächlich richtig gut gemacht.
Facts ist im übrigen ganz bestimmt das "grösste Nachrichtenmagazin der Schweiz" - aber auch das blödste. Denn es ist in meinen Augen das einzige.

Aber ich bin froh, dass wir weitgehend schlagzeilen- und wahlkampffrei sind. Dann haben unsere Journalisten nämlich mehr Zeit zur Recherche... und für einmal hat das einer auch tatsächlich richtig gut gemacht.
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Moderatoren: Mike.S.